Klicks zeigen, ob ein Quartier performt

Liestal Big Data war das Hauptthema am Unternehmertreff Liestal 

Wir alle hinterlassen Spuren im Internet. Was wir «liken», welche Webseiten wir besuchen, wie lange wir einen Artikel im Online-Shop anschauen, alles wird registriert. Das grosse Datensammeln dient aber nicht nur Marketingzwecken, also dass Onlinefirmen uns mit personalisierter Werbung bombardieren können, sondern hat ganz verschiedene wirtschaftliche und gesellschaftliche Anwendungsgebiete. Beispielsweise in der Stadtplanung.

Wie «Big Data» helfen kann «die bestehenden und neuen urbanen Herausforderungen zu meistern und bessere Städte zu schaffen», war Thema am Unternehmertreff Liestal der Handelskammer beider Basel von letzter Woche. «Wir haben gesehen: interessanterweise gibt es Quartiere, die lebendig sind, wo jeder sein will, wo die Geschäfte florieren», sagte Virginia Hess, Gründerin der Dedomena GmbH in Basel. Und das bleibe oft stabil über längere Zeit hinweg so. Die Mehrheit der Quartiere zeichneten hingegen ein anderes Bild: langweilig, die Geschäfte seien am Aussterben, niemand wolle dorthin. Die Frage, wieso das so sei, beantwortete Virginia Hess gleich selbst: «Wir leben in einer schnelllebigen Welt, wir suchen Lifestyle und Erlebnis, nicht Besitz.» Immobilienplanung müsse damit Schritt halten und brauche deshalb Informationen über menschliches Verhalten und Bedürfnisse.

Viele Stadtplaner würden Entscheide aus dem Bauch heraus fällen, mit einem Verständnis aus einer früheren Zeit, bemerkte Virginia Hess. Eine Studie der ZHAW habe gezeigt, dass dies zu 20 Prozent höheren Planungskosten und schlechteren Investitionsentscheiden führe. In Basel sei – nicht erst seit Corona – viel Verkaufsfläche vakant und auch beim Office- und Wohnraum gebe es Leerstände. Als Folge davon sinke die Lebensqualität in den Quartieren.

Virtuelles Bild des Quartiers

Die Dedomena GmbH löst das Problem, indem sie aus all den Fussabdrücken, die Menschen virtuell in einem Quartier hinterlassen, ein virtuelles Gesamtbild des Quartiers erstellen. Die Daten stammen aus Social Media oder von Onlineservice-Anbietern, zum Teil sind sie frei verfügbar, zum Teil gekauft. Die Klicks, Bewegungs- und anderen Daten werden anschliessend anonymisiert, sodass kein Rückschluss auf einzelne Personen möglich ist, und «aggregiert», wie es in der Fachsprache heisst, also zu einem sinnvollen Ganzen zusammengefügt. Die Software der Dedomena GmbH zieht statistische Quervergleiche («Benchmark») mit anderen Quartieren und kann so eine ganze Reihe von Fragen beantworten. Etwa, ob ein Retailer oder ein öffentlicher Platz beliebt ist, ob es genug Schulangebote oder Restaurants im Quartier hat, ob es zu viele Beautysalons hat, ob Einkaufen und Arbeiten in vertretbarer Distanz möglich ist. Auch Luftqualität, CO2-Werte oder ökonomische Flächennutzung fliessen in die Datensammlung ein. «Auf dieser Grundlage haben wir ein neues Mass für die Qualität eines Quartiers entwickelt», erklärte Virginia Hess.

Geschäftsmodell: zugeschnittene Daten im Abonnement

Die periodisch aktualisierten Daten werden visuell dargestellt und können – auf das jeweilige Bedürfnis zugeschnitten – von Stadtplanern, Immobilienunternehmen und Investoren abonniert werden. Das Modell lässt sich auch auf kleinere Gemeinden anwenden, betonte Virginia Hess. Kürzlich sei gerade ein Pilotprojekt in einer Baselbieter Gemeinde angelaufen.

Frühwarnsystem gegen Leerstände

Ein solchen Daten-Abonnement kann auch als Alarmsystem dienen: Wenn sich Probleme abzeichnen, können frühzeitig Massnahmen ergriffen werden. Das gilt auch für demografische Fragen: «Was muss ein Quartier haben, dass es erfolgreich ist, damit es die Zielgruppen anzieht, die wir wollen?», umschrieb Virginia Hess. Oder um bei der Fachsprache zu bleiben: «Performt das Quartier so, wie Sie es sich vorgestellt haben?» Wenn sich die Attraktivitätsfaktoren im Ungleichgewicht befinden, kann es beispielsweise sein, dass ein Investor, der zwei Jahre lang dort war, plötzlich sein Parterre nicht mehr vermieten kann, weil die Kunden wegbleiben.

Die Dedomena GmbH ist ein Beispiel für ein Startup-Unternehmen, wobei Virginia Hess wichtig ist, dass «Startup» nicht bedeutet, dass junge Leute dahinterstehen, sondern dass das Unternehmen innovativ ist und hohes Wachstumspotenzial hat. Als Startup wird die Dedomena GmbH ausserdem von der Universität Basel gefördert – in Form von gewonnenem Preisgeld, Expertenpool und Netzwerk – sowie von weiteren Institutionen wie Innosuisse.

Die Handelskammer gibt sich erstmals ein Jahresthema

Martin Dätwyler, Direktor der Handelskammer beider Basel, zeigte sich in seinem News-Block überrascht vom knappen Entscheid zum Indonesien-Abkommen. Offenbar habe das Stimmvolk die Bedeutung des Freihandels für die Schweiz nicht mehr präsent.

Dazu passt das Jahresthema, das sich die Handelskammer dieses Jahr erstmals gibt: «Wirtschaft in bester Gesellschaft». Mit einer Kampagne will die HKBB die Skepsis gegenüber der Wirtschaft abbauen und den Graben zwischen Gesellschaft und Wirtschaft überwinden. Martin Dätwyler hat dabei auch konkrete politische Themen wie Fluglärm oder Mindestlohn im Blick. «Wir wollen aufzeigen, was die Rolle und die Leistung von Unternehmungen sind und sichtbar machen, wie die Wirtschaft und die Gesellschaft zusammen Wohlstand generieren können, und dass wir das nicht aufs Spiel setzen sollten», erläuterte der HKBB-Direktor.

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