Die Fabrik und die Heisssporne

Frenkendorf Buchautor Stefan Burkhart erzählte im Bürger- und Kulturhaus Interessantes über die «Floretti»

Die Florettspinnerei Ringwald in Füllinsdorf im Jahr 1918, Blick vom Schleifenberg über den unverbauten Talboden in Richtung Frenkendorf. Foto: Staatsarchiv Basel-landschaft

Die Florettspinnerei Ringwald in Füllinsdorf im Jahr 1918, Blick vom Schleifenberg über den unverbauten Talboden in Richtung Frenkendorf. Foto: Staatsarchiv Basel-landschaft

Stefan Burkhart bei seinem Referat im Bürger- und Kulturhaus Frenkendorf. Foto: M. Schaffner

Stefan Burkhart bei seinem Referat im Bürger- und Kulturhaus Frenkendorf. Foto: M. Schaffner

63 Jahre ist es her, seit 1957 die letzten Arbeiter aus der Florettspinnerei Ringwald AG in Füllinsdorf entlassen wurden. Trotzdem ist die ehemalige «Floretti» – eine der grössten Spinnereien der Schweiz und eine der ersten Fabriken in der Region überhaupt – noch stark in den Köpfen präsent. Bis 1973 fabrizierte das Unternehmen Garn in der Zwirnerei Niederschönthal, danach wandelte es sich zur Textilhandelsfirma und betrieb bis 1999 einen Laden in Pratteln. Als Stefan Burkhart für sein Buch recherchierte, interviewte er unter anderem Personen, die dort noch ihre Vorhänge kauften.

Anekdoten und Wissenswertes über die Florettspinnerei erzählte der Autor letzten Samstag am Neujahrsapéro der SP Frenkendorf-Füllinsdorf im Bürger- und Kulturhaus Frenkendorf. Nostalgischen Bildern und einer romantisierenden Erinnerung stellte er die damalige Realität gegenüber: Lärm, Gestank, zum Teil schlechte Entlöhnung. Lehrlinge hätten in die Maschinen, in denen die Florettseide aufbereitet worden sei, hineinkriechen müssen um sie zu putzen und seien ganz verdreckt wieder heraus gekommen. Worauf sich ein Ringwald-Veteran aus dem Publikum meldete: Auch er stieg in die 60 Zentimeter hohen und sechs Meter langen Röhren hinein, ein Seil um die Beine gebunden, damit man ihn notfalls aus dem stickigen, heissen Hohlraum hätte herausziehen können. «Es war eine gefährliche Sache, aber es ist nie etwas passiert», berichtete er. Für diese Arbeit habe er jeweils 25 Franken erhalten.

Millionenerlös aus Liquidation

Heute ist von der Fabrik nicht mehr viel übrig. Wo das «Lange Haus» stand, die erste Arbeitersiedlung, befindet sich heute die Migros Schönthal, einige kleinere Überbleibsel werden von neuen Nutzern belegt, etwa vom Verein für Sozialpsychiatrie. Stefan Burkhart zeigte auf, wie die ursprünglichen Aktionäre der Ringwald AG nach und nach durch die Familie Alioth verdrängt wurde, der auch die Textilfirma SIS («Schappe») in Arlesheim gehörte. Die Liquidation wurde zu einem der besten Geschäfte der Ringwald AG, wie 1960 die Zeitung «Finanz und Wirtschaft» schrieb. Acht Millionen Liquidationserlös bei einem Aktienkapital von lediglich drei Millionen Franken bedeutete, dass die Aktien zu 290 Prozent ihres Nominalwerts ausgezahlt wurden; wegen des tiefen Kurses an der Basler Börse profitierten die Investoren teilweise sogar noch mehr. «Vieles, was wir heute für problematisch halten, gab es schon immer», kommentierte dazu Stefan Burkhart. Damals sei beispielsweise kritisiert worden, dass die Firmenbesitzer einerseits Angestellte entlassen hätten (aus der Florettspinnerei), andererseits ausländische Arbeitskräfte eingestellt und Schichtbetrieb eingeführt hätten (in der SIS).

«Heisssporne» und die SP

Die politischen Diskussionen seien zum Teil – wie auch heute – sehr polemisch geführt worden, bemerkte Stefan Burkhart. Auf beiden Seiten habe es «Heisssporne» gegeben: So schimpfte die Arbeitgeberseite über «minderwertige Arbeiter», die nichts leisteten, als «minderwertige Kinder» in die Welt zu setzen. Auf Arbeitnehmerseite hob Stefan Burkhart zwei Exponenten besonders heraus. Zum einen den Kommunisten Konrad Farner, der seltsamerweise im Haus des Firmen-Miteigentümers Hans Merian wohnte – wie es dazu kam, konnte Stefan Burkhart im Gespräch mit der Tochter leider nicht hausfinden. Jedenfalls lieferten sich Mieter und Vermieter einen Rechtsstreit, so viel ist in den Akten belegt.

Zum anderen sorgte der Füllinsdörfer Landrat und Gemeinderat Hermann Alt immer wieder für Aufruhr. Er war im Spanischen Bürgerkrieg, wofür er später, kurz vor seinem Tod im Jahr 2000, vom spanischen König geehrt wurde, er leistete im Zweiten Weltkrieg Aktivdienst in der Schweiz und wanderte zeitweise in die Sowjetunion aus. In der «Basellandschaftlichen Zeitung» von 1946 ist zu lesen, dass er einem bürgerlichen Politiker Schläge androhte. In einem Polizeibericht von 1950 ist erwähnt, dass er als Gemeinderat der Partei der Arbeit (PdA) mit Unterstützung der SP wiedergewählt wurde. «Man hat kooperiert, wo es Sinn machte», meinte Stefan Burkhart zu seinem Publikum. In anderen Fällen hätten sich die moderateren Sozialdemokraten aber auch von ihrer Konkurrentin PdA distanziert.

Znüni-Vorschriften

Die «Floretti betrieb auch Kindergärten: «Sie wollten, dass die Frauen arbeiteten», erklärte Stefan Burkhart. In einem Kindergartenreglement von 1949 ist zu lesen, dass den Kindern zum Znüni keine «Schleckereien, Schokolade oder Konfitüre» mitgegeben werden dürfe. Das erinnere an den heutigen Zeitgeist, der ja auch eine gesunde Ernährung in den Vordergrund stelle, meinte Burkhart, und leitete damit zum Apéro über: Die von der SP Frenkendorf-Füllinsdorf offerierten Häppchen waren nämlich vegan.

Das Buch «Die Geschichte der Florettspinnerei Ringwald und andere Geschichten aus dem alten Niederschönthal», Stefan Burkhart, 2018, ist erhältlich unter burkhart.jimdofree.com/floretti oder in den Buchhandlungen Rapunzel und Poete-Näscht in Liestal und Pfaff in Sissach.

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