Kleider, die Erinnerungen wecken

Mode aus Liestal Erstmals ist ein Buch über die Hanro-Sammlung erschienen 

Die «Hanro-Sammlung» ist eine Fundgrube für Forscher/-innen, die sich mit der Geschichte der Mode und der Textilindustrie beschäftigen. Es ist kein Museum, keine Ausstellung, sondern das Depot, in dem das Liestaler Textilunternehmen von den Kleidungsstücken, die es auf den Markt brachte, jeweils ein oder mehrere Exemplare aufbewahrte. Diese Praxis war zwar in der Modebranche früher nicht unüblich; das Spezielle der Hanro-Sammlung, die 2015 an den Kanton Baselland überging und neben den 20000 Textilien auch 70 Laufmeter Dokumente umfasst, ist jedoch, dass sie sehr gut inventarisiert ist und sich zentral am ursprünglichen Firmenstandort befindet. Studierende werden hier ausgebildet und mittels Führungen (die gegen einen Unkostenbeitrag von allen gebucht werden können) wird das hier konzentrierte Wissen interessierten Personen zugänglich gemacht.

Was bisher fehlte, war eine Publikation in Buchform. Die Abteilung «Archäologie und Museum Baselland» der Bildungs-, Kultur- und Sportdirektion füllt diese Lücke mit dem Buch «Hanro. Mode aus Liestal 1884–1991». Das reich bebilderte, knapp 200 Seiten starke Werk ist ein Streifzug durch gut hundert Jahre Modegeschichte. Diese beginnt beim «Cache Corset», einem gestrickten, verzierten Unterhemd, das wahlweise über einem Korsett oder anstelle eines Korsetts – als bequemere, moderne Alternative – getragen werden konnte.

Weniger bekannt ist, dass Hanro neben bequemer, hochwertiger Unterwäsche auch Kleider herstellte und vermarktete. Die Frühjahrskollektion von 1958 enthielt beispielsweise ein damenhaftes, elegantes Kostümkleid mit einem floralen, blau-weissen Muster. Die «Cheminée-Jupes» in den 1960er- und 1970er-Jahren waren dazu gedacht, zuhause am Kaminfeuer getragen zu werden und griffen zeittypische Muster auf (siehe Bild oben).

Mit der Linie «pi, pa & po» wurde 1987 versucht, eine jüngere Kundschaft anzusprechen, ebenfalls mit den damals zeitgemässen Farben und Schnitten. Übrigens stellte Hanro auch Artikel für Männer her, allerdings weitaus weniger als für Frauen. Genauso spannend wie die Kleider an sich sind die Werbefotografien, Illustrationen, Reklamen, Etiketten und Verpackungen – auch hier lässt sich ablesen, wie sich die Bildsprache im Lauf der Zeit verändert hat. Für ihre Kampagnen gewann Hanro in den 1990er-Jahren wiederholt internationale Awards der Werbeindustrie.

Emotionale Geschichten

Für die Baselbieter/-innen und insbesondere die Liestaler/-innen stellt die Hanro sowieso ein bedeutsames Stück Lokalgeschichte und Kulturerbe dar. Aber auch Leute, die von weiter her kommen und an einer Depot-Führung teilnehmen, verbinden die Hanro-Artikel mit Emotionen und Erinnerungen. «Es sind sehr schöne Geschichten, die hervor kommen», meint Madeleine Girard, eine der drei Autorinnen des Buches. Eine Besucherin habe beispielsweise das rote Kleid entdeckt, das sie 1968 von ihrem Vater geschenkt bekam, weil er wollte, dass sie gut gekleidet zum sonntäglichen Frühstück erschien. Bei Führungen komme es zu interessanten Kontakte, ergänzt Mitautorin Leonie Häsler.

So konnte eine Frau, die dem Illustrator Walter Niggli für Hanro-Kleidung Modell gestanden war, aufschlussreiche Informationen über diese Arbeit beitragen. Madeleine Girard fügt hinzu, dass bei vielen Besucher/-innen Erinnerungen an ältere Familienmitglieder wach werden, wenn sie die Stoffe berühren – mit Handschuhen natürlich, damit die Stücke keinen Schaden nehmen – etwa ein klassisches, raschelndes Hanro-Nachthemd, das einst ein «Renner» gewesen sei.

Anhand von solchen «Schlüsselobjekten» will das neue Buch die Sammlung fassbar machen, «sodass sie einem entgegenspringt», wie sich die dritte Autorin Saskia Klaassen ausdrückt.

Forschung nicht abgeschlossen

Erschienen ist das Buch im Zürcher Verlag «Hier und Jetzt», der auf Schweizer Kultur und Geschichte spezialisiert ist. Laut Co-Geschäftsführer Bruno Meier handelt es sich um das erste Buch des Verlags zu einem Baselbieter Thema. Es wäre problemlos möglich gewesen, ein tausend- oder zweitausendseitiges Werk über Hanro-Sammlung zu verfassen, aber man habe sich stattdessen für ein kürzeres, attraktives Buch entschieden. Wie Saskia Klaassen betont, ist es auch keine abgeschlossene Firmen- oder Sammlungsgeschichte, sondern setzt bewusst Schwerpunkte. Künftige Forscher/-innen sind somit aufgefordert, sich weiterhin mit der Hanro-Sammlung auseinanderzusetzen.

Zum Buch: www.hierundjetzt.ch/de/catalogue/hanro_23000065

Zur Hanro-Sammlung: www.museum.bl.ch/sammlungen/sammlungen/t/34/textil

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