Sehen und nichts unternehmen
Museum.BL Diskussion über Rassismus und «White Silence» im Bildungssystem und in unserer Gesellschaft

Museum.BL Diskussion über Rassismus und «White Silence» im Bildungssystem und in unserer Gesellschaft
Fachleute aus Wissenschaft, Praxis und Bildung diskutierten letzte Woche im Museum Baselland darüber, wie Kinder und Jugendliche wirksam vor Rassismus geschützt werden können. Es ist ein gesellschaftlich-historisches Problem und eine Patentlösung gibt es nicht. Die Schulen wurden eingeladen, mit ihren Klassen an Workshops zum Thema Rassismus teilzunehmen. Sie waren erfolgreich und ausgebucht.
Regierungsrätin Kathrin Schweizer stellte fest, dass Rassismus ein gesamtgesellschaftliches Problem sei. In den Schulklassen wird viel über Toleranz geredet und sie auch gelebt. Rassismus ist ein Thema, an dem man immer dranbleiben muss. Man darf aber auch Unterschiede sehen. Auch bei der Polizeiausbildung wird das Thema behandelt. Schweizer toleriert Rassismus in ihrem Korps nicht. Gegenwärtig kann man nur mit Schweizer Pass Polizist werden. Sie befürwortet grössere Diversität als nützlich. Eine Erweiterung auf die Niederlassung C ist in Diskussion.
Wie könnte eine Schulkultur mit Vielfalt als Chance aussehen? Kleinere Kinder gehen gelassen mit dem Thema um. Probleme gibt es erst bei älteren Schülern und dort haben die Schulen eine grosse Chance, korrigierend einzugreifen.
Primarlehrerin Ayélé Koulekpato erzählte, wie sie aufgrund ihres Aussehens Rassismus in allen Primarschulen erlebte. Auch verbale Beleidigungen von Lehrpersonen gehörten dazu. Oft ist Erwachsenen das Verhalten der Kinder gar nicht bewusst. Mit zunehmendem Alter wurde sie immer mehr ausgeschlossen. Die Benachteiligungen gingen an höheren Schulen, im Studium und im Beruf weiter. In ihrem Schulhaus ist sie die einzige schwarze Lehrperson. Sie lernte aus ihrer Erfahrung und zeigt Haltung. Ihre Schüler werden immer stärker auf Rassismus sensibilisiert. Sie freut sich über strahlende Kinderaugen, wenn sie schwarzen Kindern helfen kann.
Açelya Aydin, Sekundarlehrerin und wissenschaftliche Mitarbeiterin an der FHNW, machte auf Vermeidung des Themas und fehlendes Bewusstsein dafür aufmerksam. Rassismus und Diskriminierung an Schulen äusserten sich nicht immer explizit, sondern auch subtil, über Vorurteile oder unbewusste Einschätzungen der Lehrpersonen bei der Beurteilung von Leistungen.
Ayélé Koulekpato erklärte, dass Rassismus nicht immer offensichtlich ist. Das passiert oft subtil und unterbewusst. Generell fehlt es auf allen Seiten an Erfahrung und Bewusstsein. Zu diesem Thema gibt keine verpflichtenden Lehrerfortbildungen. Aktive Lehrpersonen exponieren sich und machen sich dadurch angreifbar. «Es wird erschreckend wenig darüber gesprochen.» Das Verhalten ist auch ein Teil der Schulkultur. Sie empfiehlt Workshops und längerfristige Formate.
Maneva Tefanalo Salaam, Sekundarlehrerin, führte viele Workshops durch und lernte tolle Jugendliche kennen. Das macht ihr Hoffnung. «Heutige Klassen sind viel multikultureller und durchmischter als zu meiner Zeit», sagte sie. Damals war sie allein unterwegs. Weiter erzählte sie, dass die Schweiz erst im Anfängerstadium sei, denn gestandene Lehrpersonen diskutierten immer noch darüber, ob es in der Schweiz Rassismus überhaupt gibt.
Rassismus ist ein strukturelles Problem. Wir diskutieren immer noch auf individueller Ebene und machen Symptombekämpfung.
Aus ihrer Sicht ist das Thema unbequem und löst deshalb Unsicherheit aus. Aus Angst vor Fehlern mache man lieber einen Bogen um diese Thematik. Ihr Rat ist, angstfreier damit umzugehen und weniger Angst vor Fehlern zu haben.
Erwähnt wurde auch, dass wir in einer «Slowmotion» sind und immer noch ungenügende Lehrmittel über Rassismus haben. Es darf nicht sein, dass man einfach Glück haben muss, die richtige Lehrperson zu haben. Es muss in der Ausbildung Pflicht sein, sich mit Rassismus auseinanderzusetzen. Freiwillige Seminare nach dem Motto «nice to have» – wie bisher – reichen nicht. Die täglichen Mikroaggressionen wirken sich langfristig stark aus. Auch die Eltern sind betroffen. Mit mehr Bewusstsein werden mehr Fälle gemeldet. Bei wenigen Meldungen entnimmt man der Statistik fälschlicherweise, dass das Problem nicht gross ist. Es wurde gewarnt vor «White Silence». Das bedeutet, Rassismus zu sehen, wahrzunehmen und nichts zu unternehmen.


