Standpunkt: Kunst und Kultur in Krisenzeiten

Blenden wir zurück ins Jahr 1992, dem Beginn der Balkankriege: Damals startete der Verein Friedensbrugg, eine Aktion von Menschen aus der Region Basel, ihre Vermittlungsprojekte im ehemaligen Jugoslawien. Die Einsätze begannen wir in der Stadt Osijek an der serbisch-kroatischen Grenze.
Unsere Partner vor Ort, die lokalen Friedensgruppen, mussten sich im Geheimen mit uns treffen. Als wir uns in den Kellerräumen eines ehemaligen Klosters zu einem Workshop versammelten, erschienen unverhofft zwei Jugendliche, die aus ihren zerstörten Häusern ihre Musikinstrumente retten konnten. Mit Violine und Flöte gaben sie uns spontan ein wundersames Konzert. Eine wohltuende, wenn auch skurrile Atmosphäre, während draussen Schüsse fielen …
In dieser Stadt Osijek wurde das Theater als eines der ersten Gebäude fast total zerstört. Die beliebte Kulturstätte wurde gezielt bombardiert und damit traf es einen empfindlichen Nerv der Bevölkerung. Jahre später, als sich die Konfliktparteien zu einem Waffenstillstand einigten, wurde das Theater als eines der ersten Gebäude der Stadt wieder aufgebaut, erstrahlte in neuem Glanz und die Bevölkerung feierte die Eröffnung mit einem grossen Fest.
Ein drittes Beispiel: In den USA verzeichneten die Kulturinstitutionen unmittelbar nach 9/11 grossen Zulauf. Die Menschen besannen sich auf ihre kulturellen Errungenschaften und strömten massenweise in die Museen, um den Schock zu verdauen.
Diese Beispiele zeigen, wie Kunst und Kultur auch in Krisenzeiten zum Überleben beitragen können. Auch sie sind systemrelevant, ohne mit diesem Begriff die Kultur gegen andere Bereiche auszuspielen. Neben der Sorge um unsere Gesundheit und um unser ökonomisches Überleben darf man nicht vergessen, dass wir kulturelle Wesen sind.
Wie andere Grundrechte ist die Versammlungsfreiheit zurzeit eingeschränkt. Die Kultur kann nicht live erfahren werden. Der verdiente, hör- und sichtbare Applaus des Publikums entfällt. Der krönende Abschluss nach kreativen Vorbereitungen und Bemühungen der Kulturschaffenden kann nicht stattfinden. Viele Künstlerinnen und Künstler haben jedoch erkannt, dass Passivität das Selbstmitleid und fatalistische Haltungen fördert. Deshalb versuchen Kulturschaffende dem «Stillstand» neuen Sinn zu geben: unzählige virtuelle Angebote im Netz zeugen von Aktivitäten und grosser Kreativität. Damit werden die Einkünfte aus den abgesagten Auftritten jedoch nicht ersetzt. Mit den Massnahmenpaketen von Bund und Kantone sollen auch die Kunstschaffenden in dieser schwierigen Zeit unterstützt werden. Gespannt warten nun die Gesuchstellenden darauf, dass die Verwaltungsstellen möglichst zügig, sowie auf kulante und unbürokratische Weise die Massnahmen umsetzen.
Diese Unterstützung der Kunstschaffenden ist auch ein Wirtschaftsfaktor, denn Kunst und Kultur tragen wesentlich zur Wertschöpfung bei. Ein Beispiel: Der Kunstverein Binningen hat ausgerechnet, dass ein Drittel der Aufwendungen für seine Kultur-Veranstaltungen direkt dem lokalen Gewerbe zugute kommt.
Die Bedeutung der Kultur für die Gesellschaft geht ohne Zweifel weit über den Aspekt der Unterhaltung hinaus – nicht nur in Krisenzeiten – aber die Krisenzeit öffnet uns vielleicht die Augen.
Marc Joset, Präsident Verband Kultur Verband Baselland
Präsident Verein Friedensbrugg BS / BL