Das vertraute, unvertraute Denkmal

Liestal Das Dichter- und Stadtmuseum Liestal organisierte am Sonntag eine Matinee beim Spitteler-Denkmal

Aus himmlischer Höhe fliegt die Seele zum Kopf des Prometheus: das Spitteler-Denkmal von August Suter im Park des Kantonsspitals Liestal. Fotos: zVg

Aus himmlischer Höhe fliegt die Seele zum Kopf des Prometheus: das Spitteler-Denkmal von August Suter im Park des Kantonsspitals Liestal. Fotos: zVg

Stefan Hess, der Leiter des Dichter- und Stadtmuseums, begrüsste das Publikum.

Stefan Hess, der Leiter des Dichter- und Stadtmuseums, begrüsste das Publikum.

Bei herrlichem Wetter versammelten sich am Sonntagmorgen über 70 Personen am Spitteler-Denkmal im Park des Kantonsspitals. Die Zuschauer genossen die schattigen Sitzplätze mit direkter Sicht auf die Skulptur des Basler Bildhauers August Suter und natürlich die Kurzvorträge, die dank einer Tonanlage trotz des regen Verkehrs auf der Rheinstrasse gut zu verstehen waren. Die einzelnen Beiträge wurden von fröhlichen musikalischen Intermezzi für Trompete und Posaune, gespielt vom jungen Duo «I Papagalli», aufgelockert.

Stefan Hess, der Leiter des Dichter- und Stadtmuseums, begrüsste das Publikum und freute sich, dass so viele den Weg zu einem fast in Vergessenheit geratenen Denkmal gefunden hatten. Dem Museumsteam sei wichtig, dass im Rahmen des Spitteler-Jubiläumsjahrs auch das Denkmal gewürdigt und an seine grosse künstlerische Bedeutung erinnert werde.

Angesichts des am selben Wochenende stattfindenden Schwingerfests machte er humorvoll auf die Ähnlichkeit des Spitteler-Denkmals mit dem Schwingerdenkmal von Hugo Siegwart im Stadtpark von Luzern aufmerksam und erklärte, dass es gegen dieses Denkmal einige Proteste gegeben habe. Auch die Skulptur einer liegenden Frau, die 1940 zu Ehren Spittelers am Luzerner Spitteler-Quai aufgestellt wurde, wurde heftig kritisiert; Mitglieder eines katholischen Jugendverbands gingen sogar so weit, die kritischen Partien der nackten Dame sittsam zu verhüllen. Liestal war da um einiges progressiver, denn gegen die expressive Nacktheit der beiden Figuren des Spitteler-Denkmals wurde nie Einspruch erhoben.

Eric Nussbaumer, Nationalrat und Ständeratskandidat, sinnierte in seinem Grusswort über die Begegnung mit dem vertrauten Unvertrauten. Der junge Mann, der dem Künstler August Suter für seine Skulptur Modell gesessen hat, ist heute niemandem mehr ein Begriff. Auch Spittelers Werk, das schon Gottfried Keller einiges Kopfzerbrechen bereitet hat, scheint heute unvertraut.

Suter-Enkel überbrachten Nachlass als Schenkung

Den Hauptteil der Matinee bestritten der ehemalige Leiter des Dichter- und Stadtmuseums Dr. Hans R. Schneider, die Schauspielerin Regula Grauwiller und der Kurator des Basler Antikenmuseums Dr. Tomas Lochman. Sie führten das Publikum in die Geschichte des Denkmals ein und malten ein reiches Bild der historischen Hintergründe. Hans R. Schneider dankte der verstorbenen Hildegard Gantner, die sich jahrzehntelang um das Andenken an den Künstler August Suter verdient gemacht hat, und ihrem Sohn Louis Gantner, der einen Teil ihres Nachlasses dem Staatsarchiv übergeben hat.

Eine weitere kostbare Materialsammlung ging am Tag der Matinee selbst in den Besitz des Staatsarchivs über. Mehrere Nachkommen August Suters aus der Enkel-Generation waren nämlich extra für die Matinee aus Frankreich angereist und brachten seinen Nachlass als Schenkung für das Staatsarchiv Baselland mit.

Hans R. Schneider erzählte vom Zürcher Rechtsprofessor Fritz Fleiner, einem Freund und langjährigen Bewunderer Spittelers, der nach dessen Tod ein privates Initiativkomitee zur Errichtung eines Denkmals gründete. Mittels eines Zeitungsinserats, unterzeichnet von vielen prominenten Politikern, Wissenschaftlern, Redaktoren, Industriellen und einigen wenigen Schriftstellern (C. R. Ramuz, Fancesco Chiesa, Hugo Marti, Felix Moeschlin usw.), wurde zu Spenden aufgerufen. Der Aufruf wurde von verschiedenen Seiten heftig kritisiert. Man fand den ungeheuren Betrag von 100000 Franken zu hoch, insbesondere in der Wirtschaftskrise, in der viele lebende Schriftsteller am Existenzminimum lebten. Auch Spittelers literarische Bedeutung wurde bestritten, insbesondere da Keller und Meyer noch «denkmallos» waren.

Bemerkenswert sei, dass die Gemeinde Liestal und der Kanton Basel-Landschaft das Vorhaben von Beginn an vorbehaltlos unterstützt hätten. Der Kanton stellte einen Standort zur Verfügung die öffentlichen sowie privaten Spenden aus dem Kanton beliefen sich auf etwa 5000 Franken.

Einweihung als nationales Ereignis

Die Einweihung des Spitteler-Denkmals am 3. Mai 1931 wurde zum nationalen Ereignis. Vertreter von Bund, Kantonsregierung und der Stadt waren anwesend, ebenso die beiden Töchter Spittelers. Der Künstler August Suter musste hingegen wegen einer Erkrankung absagen. Das Denkmal war mit einer Schweizerfahne abgedeckt, das Erstaunen bei seiner Enthüllung war gross. Die Luzerner Zeitung «Vaterland» schrieb später: «Unter dem Kreuzfeuer der Photographen fiel die Hülle und aus dem Tuche stürmte eine gigantische Kühnheit in Erz – das Spitteler-Denkmal August Suters. Aus himmlischer Höhe herab steigt, nein: schwebt, nein: fliegt, rast die weibliche Figur der Seele, beugt sich zum Kopf des Prometheus und rührt ihn mit ihrem Haupte an.»

Die Figur des Prometheus begleitete Spitteler lebenslang. Sein Erstlingswerk, das Epos «Prometheus und Epimetheus», arbeitete er in den letzten Jahren seines Lebens zu «Prometheus der Dulder» um; das erste gedruckte Buch dieses letzten Werkes hielt er am Tag, bevor er starb, in den Händen. Doch diese für ihn so wichtigen Epen werden heute kaum mehr gelesen. Die Schauspielerin Regula Grauwiller rezitierte deshalb einige Passagen vor, um dem Publikum einen Einblick in den Inhalt und Klang dieser Werke zu geben. Die gereimten Verse mit ihrem stetig vorwärtsstrebenden jambischen Rhythmus und ihrer altertümlich anmutenden Sprache sind nicht einfach verständlich und noch schwieriger vorzulesen. Regula Grauwiller meisterte die Aufgabe mit Bravour, sodass die intensive Beziehung des Protagonisten mit seiner Seele verständlich wurde.

Stahlgerüst im Innern

Der Kurator des Basler Antikenmuseums Tomas Lochman sprach als nächster Redner und fasste die kunstgeschichtlichen Einschätzungen von Suters Skulptur zusammen. Er verwies auf die spektakuläre Kühnheit des Entwurfs, der beinahe akrobatisch anmute und nur schon in Bezug auf die Statik eine aussergewöhnliche Leistung sei.

Der Restaurator Felix Forrer erhielt im Zuge des Spitteler-Jubiläumsjahrs den Auftrag, die Skulptur zu reinigen und zu konservieren. Die Materialien des Denkmals sind Bronze und ein Sockel aus Waschbeton. Suter stellte zunächst ein massstäbliches Gipsmodell her. Dann wurde die Skulptur in zehn Teilen im traditionellen Sandgussverfahren gegossen. Die Skulptur wurde hier in Liestal zusammengesetzt und wird von einem Stahlgerüst im Innern getragen.

Zum Abschluss der Veranstaltung sprach Stephan Schneider, der Herausgeber der «Quellen und Forschungen zur Geschichte und Landeskunde des Kantons Baselland» über die nächsten geplanten Bände der Reihe. Soeben wird Band 106 gedruckt. Band 100 wurde jedoch absichtlich zurückgehalten und wird erst 2020 publiziert; er wird Carl Spitteler gewidmet sein.

Rea Köppel, Dichter- und Stadtmuseum Liestal

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