Baselbieter Bauern offen für politische Lösungen

Bauernproteste Auch im Baselbiet gibt es viel Frust in der Landwirtschaft – aber die Situation ist anders als in Deutschland 

In der Schweiz gehen die Bauern (noch) nicht massenhaft mit ihren Traktoren auf die Strasse – es sei denn bei Veranstaltungen wie dem John-Deere-Treffen in Engwilen TG mit rund 400 Gefährten und Maschinen.Foto: Donato Caspari

Unter dem Titel «Der Frust der Bauern muss gehört werden» äusserte der Schweizer Bauernverband letzte Woche Verständnis für die Bauernproteste in Deutschland und Frankreich. Auch in der Schweiz sei die Situation angespannt, deshalb teilten die Schweizer Bauernbetriebe die Forderungen ihrer europäischen Kolleginnen und Kollegen.

Ist es also nur eine Frage der Zeit, bis wütende Landwirt/-innen auch in der Schweiz, im Baselbiet, mit ihren Traktoren die Strassen blockieren? Die Medienmitteilung des Bauernverbands gibt zwar keine direkte Antwort darauf, verweist aber auf einen wichtigen Unterschied: «Bei uns hat das Parlament einiges verhindert oder zumindest abgeschwächt, was von allen möglichen Seiten betreffend Landwirtschaft auf den Tisch kam». Als Beispiel nennt er die «Sparpläne des Bundesrats für 2024 auf dem Buckel der Bauernfamilien», die abgewehrt worden seien.

«Bei uns sind die Voraussetzungen anders als in Deutschland», meint auch Peter Saner, Geschäftsführer des Bauernverbands beider Basel (BVBB). Erstens sei in Deutschland der Anteil des Einkommens, das vom Staat komme, viel geringer. Zweitens sei, in Basel-Stadt nicht unbedingt, aber in Baselland, doch der eine oder andere landwirtschaftliche Vertreter im Landrat. Die Unterstützung der Bauern sei viel grösser, «es ist Gott sei Dank ein anderer Respekt da», stellt Saner fest. Trotz aller Angriffe und Kritik stehe die Bevölkerung hinter der Landwirtschaft – das sehe man auch bei den Abstimmungen.

Schweiz besser gegen Bodenspekulation geschützt

Peter Saner erwähnt einen weiteren Unterschied, der oft vergessen werde: das bäuerliche Boden- und Erbrecht. «In der Schweiz muss man nachweisen, dass man eine bäuerliche Ausbildung hat, wenn man einen Bauernhof übernehmen will», erklärt der Jurist mit bäuerlichen Wurzeln. Der Spekulation werde somit klar einen Riegel geschoben. «In Deutschland ist es passiert, dass irgendwelche Konzerne Betriebe zusammenkaufen – das können sie in der Schweiz nicht», so Saner. Deutsche Bauern, die Land suchen, seien gar nicht in der Lage, die von Investoren hochgetriebenen Preise zu stemmen. «Das hat sie zur Weissglut getrieben», ist Saner überzeugt.

BVBB ist bestrebt, die Lage nicht eskalieren zu lassen

Die Wahrscheinlichkeit, dass es in der Schweiz zu Protesten kommt, hält Peter Saner für sehr gering. Jedenfalls im Moment: «Auch bei den Schweizer Bauern gibt es Vertreter, die sagen, wir müssen endlich aufstehen.» Die Überzeugung des BVBB sei jedoch, auf Dialog zu setzen und zusammen Lösungen zu finden und die Lage nicht eskalieren zu lassen.

Etwas fehle jedoch in der Diskussion, fügt Saner hinzu: «Es wird zu wenig darüber geredet, wie wichtig es ist, dass die Bauern endlich einen vernünftigen Preis für ihr Produkte bekommen.» Die Nachfragemacht des Detailhandels sei in der Schweiz zwar geringer als in Deutschland, aber auch bei uns hätten die Bauern extrem Mühe, ein Einkommen zu erzielen, mit dem sie die Produktion aufrecht erhalten könnten. Dabei würden die Bauern – auch im Baselbiet – viel dazu beitragen, dass das Gemeinwesen funktioniere.

Was Peter Saner an den Bauernprotesten in Deutschland erstaunt, ist wie viel Verständnis den Bauern entgegengebracht wird, auch wenn die Leute ihretwegen im Stau stehen. Allerdings sei in Deutschland auch der Druck auf die gesamte Gesellschaft grösser als in der Schweiz. Abschliessend hält er fest: «Wir sind überzeugt, dass die produzierende Landwirtschaft einen Teil zur Volkswirtschaft beiträgt, der, wenn es auch in Franken und Rappen nicht viel ist, in der Sache sehr wichtig ist.»

Konsument/-innen schätzen Lebensmittel zu wenig

Auch bei uns stehe die Landwirtschaft unter Druck, sagt die Itinger Grünen-Landrätin Dominique Zbinden, die auf einem nichtproduzierenden Landschaftspflegebetrieb aufgewachsen ist. Wie überall, gebe aus auch in der Landwirtschaft immer mehr Richtlinien, unter anderem in Bezug auf Ökologie. Aber auch der wirtschaftliche Druck nehme zu: «Wie ich es mitbekomme, werden die Produzentinnen und Produzenten sehr gering bezahlt für ihre Produkte.» Das liege an den Grossverteilern, die möglichst tiefe Preise haben möchten, sei aber auch ein Problem der Konsumentinnen und Konsumenten, die zu wenig schätzen würden, woher die Lebensmittel kämen.

Auf der anderen Seite seien die Bauern im Parlament gut vertreten und könnten ihre Anliegen einbringen, bemerkt Dominique Zbinden. Dass es in der Schweiz zu Bauernprotesten wie in Deutschland und Frankreich kommt, hält sie deshalb, auch wenn sie es nicht ganz ausschliessen will, für eher unwahrscheinlich: «Da die Landwirtschaft politisch einen grossen Hebel hat, wäre es kontraproduktiv zu sagen, die Politik mache alles falsch.» Solche Proteste würden die Leute verärgern und wären sicher nicht förderlich für die Sympathie.

«Aber es ist auch in der Schweiz ein grosser Frust da», betont Dominique Zbinden. «Wenn man sieht, was die Landwirtschaft in Deutschland mit dem Protest erreicht, könnte schon der eine oder andere denken, das wäre auch etwas für uns», kann sie sich vorstellen. Aber die Gefahr, dass dies geschehe, sei eher gering, denn in der Schweiz gebe es genug politische Mittel wie beispielsweise Initiative und Referendum.

System gefährdet natürliche Grundlagen der Landwirtschaft

Barbara Küttel, Co-Geschäftsleiterin der Kleinbauern-Vereinigung, fordert eine differenzierte Betrachtungsweise. «Wir können die Proteste nachvollziehen», sagt sie. Auch bei uns seien die Bäuerinnen und Bauern unter Druck aufgrund der Anforderungen, die an sie gestellt würden. Gleichzeitig müsse man aber genauer hinschauen: «Die Probleme sind zum Teil auch mitverursacht wenn man ein System unterstützt, das die natürlichen Grundlagen der Landwirtschaft gefährdet», betont Barbara Küttel. Die Landwirtschaft sei auf einem industriellen Weg unterwegs. Man wisse, dass zu intensive Düngung und Pestizide den natürlichen Ressourcen schade, deshalb gibt es auch entsprechende Absenkziele seitens Politik mit strengeren Anforderungen an die Praxis. Allerdings könne die Landwirtschaft die Probleme nicht allein lösen, auch die Verarbeiter, Handel sowie Konsumentinnen und Konsumenten müssten mitmachen.

Zum Thema Lohn – Agroscope spricht für den Zeitraum von 2021 bis 2022 von einem Rückgang 6,3 Prozent und in Hügelgebieten sogar von zehn Prozent – kommentiert Barbara Küttel, dass die Landwirtschaft sicher keine Branche sei, in der man reich werde. Aber die Unterschiede seien relativ gross: Gerade kleinere Betriebe müssten innovativ sein und beispielsweise auf Direktvermarktung setzen. Ein Problem seien auch die Direktzahlungen. Zum Teil seien sie an konkrete Leistungen gebunden, was gut sei, aber zum Teil seien sie rein von der Fläche abhängig. «Allein schon deshalb lohnt sich mehr Fläche zu bewirtschaften vom System her», sagt Barbara Küttel – was dann eine immer rationellere Bewirtschaftung erfordert.

Der Einschätzung, dass sich die Situation in der Schweiz von derjenigen Deutschlands unterscheidet, weil die Politik fähig ist, Lösungen zu finden, stimmt Barbara Küttel zu – aber nur zum Teil: «Die bäuerliche Vertretung im Parlament ist relativ gross, aber auch sehr konservativ.» Die Mehrheit stehe auf der Bremse, nötig sei jedoch eine lösungsorientierte Politik, damit die Landwirtschaft eine Zukunft habe.

«Es kann schon zu einem Aufruhr kommen»

Stephan Graf, produzierender Landwirt in Maisprach, unterstützt die momentanen Proteste in den Nachbarländern: «Es ist gut, wenn die europäische Bauern etwas erreichen, dann gibt es auch für die Schweiz Druck, dass die Landwirtschaft nicht links liegen gelassen wird.» Es gehe nicht nur um Agrardiesel, sondern beispielsweise auch um Nitratauflagen, Biodiversität und Produktpreise. Ausserdem werde nicht nur in Deutschland und Frankreich protestiert, sondern in ganz Europa, von Sizilien über Luxemburg bis Rumänien.

In der Schweiz sei das Politik- und Marktsystem etwas besser, findet Stephan Graf, «aber trotzdem nicht immer super für die produzierende Landwirtschaft.» Aber dadurch, dass auf kantonaler und vor allem nationaler Ebene viele Bauernvertreter in den Parlamenten seien, könnten viele Entwicklungen im Sinn der Bauern verbessert werden. «Ausserdem hat die Landbevölkerung bei uns einen grösseren Anteil und mit Urnengängen können wir manches wenden», so Graf.

Werden sich die Proteste auch auf die Schweiz ausweiten?

Die Söhne der Familie Graf haben schon mehrmals an Bauernprotesten in Deutschland teilgenommen. «Sie waren sehr willkommen und wir haben immer wieder Anfragen, ob wir kommen», sagt Stephan Graf. Ob sich die Proteste auf zu uns in die Schweiz ausweiten werden, sei schwierig zu sagen, das müsse man je nach Situation anschauen.

Aber auf jeden Fall sind die Probleme hierzulande ähnlicher Art wie in den anderen Ländern: Stephan Graf führt beispielsweise die Zollrückerstattung auf Diesel, bevorstehende Kürzungen von Direktzahlungen, Biodiversitätsauflagen auf sehr produktiven Flächen, Auflagen betreffend Düngung sowie aus dem Sortiment fallende Pflanzenschutzmittel auf. Es werde immer schwieriger, zur selben Qualität zu produzieren, stellt er fest. «Wenn das nicht ändert, kann es schon zu einem Aufruhr kommen», meint Stephan Graf. Im Hintergrund befinde sich seit Dezember etwas im Aufbau, und wenn der Moment komme, sei schnell etwas parat.

Krasse Aktionen wie in Frankreich, wo die Bauern zum Beispiel Gebäude mit Mist bewerfen, würde Stefan Graf jedoch nicht unterstützen: «Das ist tabu.» Um eine Autobahn zu blockieren, gäbe es in der Schweiz wohl keine Bewilligung, und sich einfach hinzustellen, dazu hätte wohl keiner den Mut. Was sich Stephan Graf aber vorstellen kann, ist eine Sternfahrt nach Bern auf den Nebenstrassen: «Ich wäre dabei.» ObZ

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