Eine persönliche und digitale Herausforderung
Liestal Susanne Wäfler-Müller übernimmt am 1. Mai die Gesamtleitung der Kantonsbibliothek
Das digitale Zeitalter hat auch vor den Bibliotheken als Bildungsstätte, Kulturort und Informationsdienstleiter nicht halt gemacht. Diese müssen sich intensiv und eingehend mit ihrer Zukunft auseinandersetzten um für neue Funktionen und Aufgaben bereit zu sein. Für die Bibliothekarinnen und Bibliothekare eine grosse Herausforderung, denn das Bedürfnis nach einem niederschwelligen Ort, wo Menschen sich begegnen können und Unterhaltung und Informationen zu allen relevanten Themen finden in Buch- oder Heftform, CDs und DVDs wird sich so schnell nicht ändern. Als Folge der starken Einschränkungen – die Bibliothek ist seit fast vier Wochen geschlossen – beschleunigt das Coronavirus die Digitalisierung. Der Zeitpunkt des Interviews beruht nicht auf Zufälligkeit. Inmitten dieser unerwarteten Entwicklung in dieser Krisenzeit übernimmt die 42-jährige Susanne Wäfler-Müller, seit zwölf Jahren in der Bibliothek als Teamleiterin angestellt, am 1.Mai 2020 die Gesamtleitung von Gerhard Matter, der sich in die Pension verabschiedet. Susanne Wäfler-Müller, wohnhaft in Bennwil, verheiratet und Mutter von zwei Kindern, hat an der Uni Basel Medienwissenschaft, Deutsche Literaturwissenschaft und Geschichte studiert. Im Telefoninterview mit der Oberbaselbieter Zeitung äussert sie sich engagiert als künftige Gesamtleiterin über ihre Erwartungen, Wünsche und Hoffnungen in der neuen Funktion, wie das Coronavirus ihren beruflichen Alltag momentan mitbestimmt und wie sehr die Fortschreitung der Digitalisierung die Zukunft der Bibliothek prägen wird.
ObZ: Wie sind Sie zum Beruf als Bibliothekarin gekommen?
Susanne Wäfler-Müller: Die Initialzündung fand bereits im Kindesalter statt. In der Primarschule habe ich zusammen mit einer Kollegin die Schulbibliothek in Bennwil betreut. Später während meines Studiums, als die Kantonsbibliothek ihr Domizil noch im jetzigen Gerichtsgebäude hatte und als erste Schweizer Bibliothek die Sonntagsöffnung einführte, habe ich als Studentin zwei Jahre mitgearbeitet. Es folgten anschliessend Praktika im Journalismus als mögliche berufliche Alternative und schliesslich eine zweijährige berufsbegleitende Ausbildung zur Wissenschaftlichen Bibliothekarin.
Es herrscht das Klischee, dass Bibliothekarinnen die meiste Zeit im Internet mit Surfen verbringen oder Bücher verschlingen.
Ja, dieses Klischee gibt es immer noch, stimmt jedoch so natürlich nicht. Klar, das Internet ist für uns ein wichtiges Arbeitsinstrument zum Recherchieren und um Inspirationen zu holen. Die Kantonsbibliothek erwirbt jedes Jahr etwa 17500 Bücher, CDs, DVDs, Zeitschriften und etwa 2000 E-Books. Das kann niemand alles lesen.
Der Beruf als Bibliothekarin hat sich rasant entwickelt und findet nicht mehr wie früher im stillen Kämmerlein statt. Heute ist die berufliche Aufgabe vielschichtiger. Nebst literarischer Neugier und der Freude am Umgang mit Menschen, beinhaltet diese unter anderem Vermittlungsangebote und Moderationen.
Wie sehr haben die Beschränkungen in der Corona-Krise Ihren Berufsalltag geändert?
Auch wir mussten von einem Tag auf den anderen die Türen schliessen. Der Infodienst im Publikumsbereich wie Beratungen, Einschreiben von neuen Mitgliedern und so weiter, ist ab sofort inaktiv geworden, weil niemand mehr vor Ort im Einsatz war. Wir haben sofort umgeschwenkt und setzen momentan alles daran, die digitalen Angebote zu bewerben und die Benutzung mithilfe selbstgedrehter Video-Tutorials zu erleichtern. Offensichtlich mit Erfolg, denn seit dem 16.März haben wir in unserem digitalen Angebot (für Kinder, Jugendliche und Erwachsene) jeden Tag 20 bis 30 neue Nutzer. Wir stehen diesbezüglich in ständigem Austausch mit den Gemeindebibliotheken, die das Angebot auch nutzen können. Seit Mitte März wurden drei Mal mehr Filme gestreamt als vorher. Es besteht in dieser schwierigen Zeit klar ein grosses Bedürfnis nach literarischer und medialer Unterhaltung. Unser Geschichtenkoffer steht nun online in Videoform zur Verfügung.
Die Digitalisierung hat die Bibliotheken wie im Sturm erfasst. Müssen diese sich neu erfinden?
Nein, aber wir müssen uns weiterentwickeln, weil auch die Ansprüche unseres Publikums im Wandel sind. In der wachsenden Informationsflut bietet die Kantonsbibliothek eine verlässliche Auswahl an Medien – analog und digital. Wir geben Orientierung, etwa auch bei den Themen Kinder-Apps oder Gaming. Dieser Service wird immer wichtiger und gefragter.
Am 1.Mai übernehmen Sie die Gesamtleitung in einem 80 Prozent-Pensum und werden für die operative und strategische Führung mit 40 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern verantwortlich sein. Was wird die grösste Herausforderung für Sie in der neuen Funktion sein?
Die ganze Digitalisierung verändert unseren Alltag und das in hohem Tempo. Wie nehmen wir unser Publikum mit in die zunehmend digitalisierte Welt? Welche Angebote sind gefragt? Was erleichtert den täglichen Medienkonsum, was macht Freude? Nicht die Bücher stehen im Zentrum, sondern die Menschen. Wie verändert sich die Rolle von uns Mitarbeitenden, welche Fähigkeiten braucht es für die Arbeit und wie verändert sich die Bibliothek als sozialer Treffpunkt? Viele Fragen warten auf passende Antworten.
Was sind Ihre Hoffnungen und Wünsche in der neuen Funktion?
Ich wünsche mir, dass die Bibliothek auch künftig auf so viel Zuspruch stösst. Ich bin voller Optimismus und schaue zusammen mit dem tollen Team zuversichtlich in die Zukunft. Ich möchte die Bibliothek, die schweizweit einen guten Ruf geniesst, weiterhin voranbringen und mit innovativen neuen Massstäben so weiter machen wie in den letzten Jahren.
Können wir demnächst mit Ihnen als neue Leiterin mit Veränderungen rechnen?
Ja, aber nicht von heute auf morgen. Das Haus ist unterdessen 15 Jahre alt, drei Millionen Besuchenden haben ihre Spuren hinterlassen. Nun stellt sich die Frage, ob die Infrastruktur noch aktuell ist. Konkret vergrössern wir den Bereich für Kinder und schaffen für Jugendliche eine neue Zone. Das digitale Angebot wird ausgebaut. Hier liegt durch die aktuelle Situation ein spezieller Fokus.