Sie schauen den Jägern auf die Finger

Jagdbeobachtung «Hunt Watch» wirft ein wachsames Auge auf die Jagd – und sucht den Dialog mit Jägern 

Auch in Oberbaselbieter Wäldern unterwegs: Olivier Bieli beobachtet den Jagdbetrieb im Rahmen der Kampagne «Hunt Watch».Foto: M. Schaffner

Es ist Jagdsaison: An vielen Orten, auch bei uns, finden zurzeit Treibjagden statt. Nicht nur die Jäger/-innen sind jetzt in den Wäldern und Feldern unterwegs, sondern auch Aktivist/-innen, die der Jagd kritisch gegenüberstehen. Letzten Samstag begleiteten beispielsweise rund zehn Personen die Jagd in Liestal. Die ObZ hat einen dieser «Jagdbeobachter», wie sie sich selber bezeichnen, zu einem Gespräch getroffen.

Olivier Bieli hat vor einigen Jahren zusammen mit seiner Frau den Verein «Hilfe für Tiere in Not» gegründet. Dieser ist hauptsächlich in der Nordwestschweiz, im Elsass und Süddeutschland aktiv, erhält aber auch in der Ostschweiz Zuwachs. In Rumänien betreibt der Verein ein Tierheim für Katzen und Hunde, im Elsass den Lebenshof «Papillon». Ausserdem setzt er sich für Tiere in Zoos, im Zirkus oder in der Fleisch- und Pelzindustrie ein. Im Bereich Jagd ist er unter dem Kampagnennamen «Hunt Watch» in Erscheinung getreten.

Olivier Bieli, der im Baselbiet aufgewachsen ist und in Frankreich lebt, betont: «Wir sind friedlich. Wir machen keine Jagdstörung oder Jadgsabotage.» Damit grenzt er sich von der Antijagdbewegung in anderen Ländern ab, die oft mit Militanz verbunden sei, wie etwa in England. Die Aufgabe von «Hunt Watch» sei eine andere: «Wir beobachten, dokumentieren, veröffentlichen, und wenn Missstände auftreten, reichen wir Anzeige ein.»

«Störung» oderDialog auf Augenhöhe?

Diese Art der Jagdbeobachtung sei legal und finde auf Augenhöhe mit den Jägern statt, fährt Olivier Bieli fort. Der Dialog werde gesucht, wobei die Teilnehmenden auf den Wegen bleiben und sich nie in die Schusslinie begeben würden.

Beim Amt für Wald ist «Hunt Watch» seit rund einem Jahr bekannt. Gesamthaft sei der Einfluss auf den Jagdbetrieb sehr gering, meint Jagd- und Fischereiverwalter Holger Stockhaus. Für eine betroffene Jagdgesellschaft könne aber schon eine gewisse Beeinträchtigung auftreten. Ob es eine Störung gemäss Jagdgesetz sei, hänge von den jeweiligen Umständen ab und müsse von Fall zu Fall beurteilt werden.

Was machen die Aktivist/-innen nun genau? Olivier Bieli zeigt Fotos auf seinem Handy: Füchse auf Pickup-Ladeflächen, die bei einer Treibjagd in Reigoldswil geschossen wurden. «Hunt Watch» dokumentiert, welche Tiere geschossen werden, ob sie von Hunden gehetzt worden sind, oder welche Verletzungen sie aufweisen. Wenn mit Schrot geschossen werde, könne es auch sein, dass einem Tier ein Bein abgetrennt werde, erklärt Olivier Bieli.

«Hunt Watch» legt das Augenmerk auf verschiedene Missstände, von Alkoholkonsum während der Jagd bis zum Verletzen von Sicherheitsregeln wie «nicht auf etwas zielen, das man nicht treffen will.» Olivier Bieli weist auch auf Jagdunfälle hin, die immer wieder passieren, wie kürzlich in Deutschland, wo eine Zivilperson erschossen worden sei. Auch Pferde, oder Lamas auf Weiden am Waldrand, seien schon getroffen worden.

Auch Katzen und Hunde werden manchmal von Jägern geschossen. Oliver Bieli stimmt zwar zu, dass ein Hund niemals wildern dürfe. Aber da seien die Halter mit der Erziehung in der Pflicht. Der Abschuss sei nie das Richtige. Bei Katzen sei eine Kastrationspflicht für Freigänger die einzige valable Lösung.

Was «Hunt Watch» ebenfalls ablehnt, ist die Trophäenjagd. Jagd Baselland führe jedes Jahr eine Prämierung der grössten Geweihe und Gebisse von erlegten Tieren durch, erklärt Olivier Bieli: «Das empfinden wir als entwürdigend für die getöteten Tiere und das hat auch nichts mit Hege und Pflege zu tun.»

«Der ganze Wald wird auf links gedreht»

Die Hauptkritik liegt aber bei der Treibjagd. Wenn ein Jagdhund durch den Wald laufe, scheuche er alles auf, nicht nur Rehe und Wildschweine, die jetzt gerade gejagt würden. Sondern auch Füchse, Marder, Dachse, Vögel. «Das ist, was uns so stört: dass man den ganzen Wald auf links dreht», erklärt Olivier Bieli. Es würden viele Tiere geschossen, die nicht auf der Jagdliste seien – wobei das auch am Jäger liege, der am Drücker sei. «Wir sehen unsere Aufgabe, sie zu beobachten», hält Olivier Bieli fest.

Oft komme es bei Treibjagden zu brenzligen Situationen, fügt er hinzu. So weiss er von einem Fall in der Region, bei dem mitten zwischen zwei nebeneinander stehenden Personen hindurch geschossen worden sei. «Die jagdleitende Person hat sich sehr unflätig geäussert, obwohl sie im Unrecht war», erzählt Olivier Bieli. Bei einem anderen Fall sei an einem Wegrand geschossen worden. Zwar in die andere Richtung – aber wenn der Jäger im Tunnelblick ein bewegtes Ziel verfolge, könne es schnell passieren, dass er nicht mehr darauf achte, was in seiner Umgebung passiere.

«Wir bekommen viele Meldungen von Leuten, die in eine Treibjagd geraten sind oder sonst ein negatives Erlebnis hatten», berichtet Olivier Bieli. Die Jagd sei aber sehr etabliert und man getraue sich nicht, etwas gegen sie zu sagen. Er kenne auch keine Tierschutzvereine, die sich lautstark gegen die Jagd positionieren würden.

50 bis 60 Personen im Baselbiet aktiv

Doch langsam formiert sich in der Schweiz die Anti-Jagdbewegung. Ausser der Nordwestschweiz gibt es laut Bieli Ableger in St. Gallen, und in Zürich tue sich auch etwas. «Mit der Wolfsjagd wird es noch zunehmen», ist er überzeugt. «Viele Leute melden sich bei uns – inzwischen kennt man uns, auch dank Social Media.»

Im Baselbiet sind etwa 50 bis 60 Personen aktiv. Nicht alle sind jedes Mal dabei, da die Jagd oft unter der Woche stattfindet: «Manche nehmen frei, aber das können nicht alle», so Bieli. Die einen sind Aktivisten, die gegen das Töten von Tieren sind. Bei anderen handelt es sich um Anwohner, die sich nerven, wenn Jäger um ihre Häuser streichen. Oder um Leute, die einen persönlichen Bezug zu einem Tier haben, beispielsweise zu einen Rehbock, der in der Nähe lebt.

Eine dritte Gruppe sind Leute in dörflichen Gemeinschaften, die sich nicht getrauen, ihre Haltung öffentlich auszusprechen, weil sie im Dorf vielfältig vernetzt sind. Auch wenn sie nicht aktiv bei der Treibjagd-Beobachtung mithelfen, unterstützen sie «Hunt Watch» auf andere Weise, etwa indem sie Tipps geben, wann gejagt wird, oder indem sie Fotos von erlegten Tieren einsenden. Auch ein Jäger, der gegen die Treibjagd ist, hat sich bei «Hunt Watch» gemeldet. Aktuell versucht Olivier Bieli, einen Gesprächstermin mit ihm zu vereinbaren.

Aber auch mit weniger wohlgesonnenen Jägern sucht «Hunt Watch» das Gespräch, beispielsweise bei einer Demonstration vor der Generalversammlung von «Jagd Baselland». Zwar musste Olivier Bieli feststellen, dass die meisten kein Interesse am Reden haben. «Aber mit den Wenigen, die doch mit uns redeten, war es sehr interessant.»

Kontroversen sind noch lange nicht ausdiskutiert

An Diskussionsstoff mangelt es sicher nicht: Beispielsweise hält Jagd- und Fischereiverwalter Holger Stockhaus fest, dass Aussagen betreffend Vermehrungsdruck im Zusammenhang gesehen werden müssen. Aufgabe der Jagd sei, den Wildtierbestand so zu regulieren, dass die jährliche Reproduktion genutzt werden könne. Würde man der Natur freien Lauf lassen, würden die Wildbestände steigen, bis die Nahrung knapp werde und die Tiere an Hunger und Krankheiten sterben würden. Wenn sich die Vegetation erhole, wachse der Bestand wieder an. Diese Wellenbewegung werde durch die Jagd vermieden.

Das letzte Wort in dieser Kontroverse ist sicher noch lange nicht gesprochen. Und die Liste der Problematiken ist lang, wie das Gespräch mit Olivier Bieli gezeigt hat. Um nur einen Punkt zu vertiefen: Das Bild vom betrunken Jäger dürfte nach Ansicht von Holger Stockhaus ein Relikt aus früheren Zeiten sein. Heute sei das Verantwortungsbewusstsein gegenüber Mitjägern und Wildtieren so hoch, dass Alkohol während der Jagd kein Thema sei. «Wie ich es erlebe, wird Alkohol allenfalls nach Ende der Jagd konsumiert», so Stockhaus. Jägerinnen und Jäger hätten bei der Jagd immer auch die Sicherheit und das Wohl der übrigen Waldbesucher im Blick.

Weitere Infos auf der Seite «Hunt Watch – Stop Hunting» auf Facebook

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