«Kunst eröffnet Territorien und bringt neue Menschen hervor»

Liestal Podium «Engagement für eine bessere Welt» im DISTL

Soziales und künstlerisches Engagement gehen Hand in Hand bei Maria Magdalena Moser. Die Reigoldswilerin engagiert sich seit Jahrzehnten für Haus­arbeiterinnen in Bolivien, hauptberuflich ist sie Musikpädagogin, ausserdem hat sie einen Roman geschrieben, und ihr neustes Projekt ist eine sparten­übergreifende Kollaboration mit einem ­Fotografen: ein bebildertes Buch, das bolivianische Frauen in privaten, oft ­ausbeuterischen Dienstverhältnissen porträtiert. Die Ausstellung dazu ist bis zum 21. August im «Dichter:innen und Stadtmuseum Liestal» (DISTL) zu sehen.

Für eine begleitende Podiumsdiskussion holte sie vergangene Woche einen interessanten Gast nach Liestal: Cergio Prudencio, der bis vor kurzem Vize­minister für Interkulturalität in der neu gewählten Regierung von Bolivien war. Auch bei ihm sind wie bei Maria Magdalena Moser gesellschaftliches Engagement und künstlerisches Schaffen miteinander verwoben. Er ist nicht nur Politiker, sondern auch Komponist und hat ein Orchester gegründet, das indigene Musik mit anderen Stilrichtungen vereint.

Kunst pflanzt Utopien

Es war ein sehr stimmungsvoller Abend im heissen, aber gut belüfteten DISTL-Obergeschoss, wozu auch das Gitarre/Flöte-Duo «Vientos Andinos» beitrug.

In einer poetisch anmutenden Sprache sinnierte Cergio Prudencio über die wechselseitige Beziehung von Kunst, Musik und Gesellschaft. Kunst sei ein Spiegel der Gesellschaft, aber auch eine Prophezeiung – sie eröffne neue Territorien und bringe neue Menschen hervor: «Sie pflanzt die Utopie, die uns in eine andere Welt mobilisiert als die, von der wir fliehen müssen.» Cergio Prudencio ist ein Kritiker der reinen Marktlogik und des Profitdenkens, das – gerade in Bolivien – die Form des «Extraktivismus» annimmt, also der Ausbeutung der Erde und der Menschen. Dieser berechnenden Logik stellt er eine andere Utopie entgegen: Rolle der Kunst sei, Leitlinien für eine mögliche Welt jenseits der Regeln der Makroökonomie aufzuzeigen. «Das ist fast die einzige Über­lebensstrategie, die uns als Spezies bleibt», warnte Prudencio in Anspielung auf die Krisen, die unsere Welt bedrohen.

Es gehe aber nicht darum, abschliessende Antworten zu finden, sondern Fragen Raum zu geben, betonte die Moderatorin des Podiums, Zita Bauer, Radio­macherin und Sozialanthropologin. Der zweite Themenkomplex, den sie anschnitt, war die Entwicklungs­zusammenarbeit – schliesslich lautete der Titel des Podiums «Engagement für eine bessere Welt – können sich Kunst, Wissenschaft und Entwicklungs­zusammenarbeit ergänzen?»

Cergio Prudencio hatte bereits in ­seinem Eingangsstatement darauf ­hingewiesen, dass Kunst «dekolonisiert» werden müsse. Als «koloniale Kunst» könne sie nämlich ein politisches, ­zivilisatorisches Herrschaftsinstrument sein, das auf der Anmassung kultureller Überlegenheit beruhe. Er wünsche sich deshalb eine Kunst, welche die ­«Gleichheit der Austauschbeziehungen ­wiederherstellt».

Brückenschlag zu anderen Kulturen

Daran knüpfte Maria Magdalena Moser an: Entwicklungszusammenarbeit sei dann erfolgreich, wenn man sich auf Augenhöhe begegne. Sie bestehe gerade nicht darin, ein bereits vorgefertigtes Projekt umzusetzen, das in den Ländern, wo sie Hilfe bringen sollen, vielleicht eine ganz andere Wirkung habe, als wir in den «Geber-Ländern» es uns vorstellen würden. Einer hegemonialen Kultur zugehörig, vergässen wir, dass es noch andere Sichtweisen und andere Selbstverständlichkeiten als die unsrigen gebe. Dass Wörter wie «Zukunft» oder «Nachhaltigkeit» eine andere Bedeutung haben könnten. Entwicklungszusammenarbeit müsse auf diese Fragen eingehen. «Kunst ist die ideale Brücke, die man zu anderen Kulturen schlagen kann, damit die Vision zur Verbesserung, die man anstrebt, langfristig Positives bewirken kann», formulierte Maria Magdalena Moser.

Nachhaltige Stadtentwicklung

Die vierte Person auf dem Podium war Lukas Ott, ehemals Stadtpräsident von Liestal und heute Stadtentwickler in Basel. Er ist Soziologe, hat aber auch Kunstgeschichte studiert und schlägt also wie Moser und Prudencio die Brücke zwischen Kultur und Gesellschaft. Auf die «Utopie, wie wir zusammenleben können» Bezug nehmend, unterstrich er die Rolle der Wissenschaft. Sie stelle das nötige Wissen und die Kontinuitäten her. In der Stadtentwicklung gelte es, Zielkonflikte zwischen sozialen, ökonomischen und ökologischen Vorgaben aufzulösen. Wie Moser hat auch Ott den Anspruch, langfristig etwas zu bewirken. Die Pointe nachhaltiger Stadtentwicklung sei intergenerationelle Gerechtigkeit: «Es geht darum, was wir den nächsten Generationen an Lebenswertem weitergeben können.»

Engagement: Wer lernt von wem?

Ein Themenblock drehte sich um die Motivation zum persönlichen, oft unbezahlten Engagement. Für Maria Magdalena Moser ist es die Grundhaltung, «dass wir in der Welt stehen, um zu wirken, zu träumen, zu suchen». Spannenderweise fand sie eine ähnliche Haltung bei den Frauen in Bolivien, die trotz ihrer schwierigen Situation voller Energie und Vorfreude seien auf das, was das Leben für sie noch zu bieten habe. Im Gegensatz zu vielen Menschen bei uns, die keinen Sinn mehr im Leben sähen. Das habe sie bewogen, den Spiess umzudrehen: «Wir sind die, die etwas brauchen!» Auch Lukas Ott fragte sich: «Wer lernt eigentlich von wem?»

Das gute Leben – Suma Qamaña

Für die Anwesenden im DISTL gab es auf jeden Fall einiges Neues zu lernen. ­Cergio Prudencio skizzierte einen Gedanken aus der indigenen Tradition des Andengebietes: «Suma Qamaña», auf Deutsch «das gute Leben» (auf Spanisch «buen vivir» oder «vivir bien»). Es sei eine ­Weltanschauung, die nicht auf ­Vermögensaufbau, sondern auf Beziehungen untereinander beruhe. Ob im Produktions­prozess oder in der politischen Entscheidungsfindung, alle seien gegenseitig voneinander abhängig, wie in einem Organismus.

Auch der Begriff der «Entwicklung» – sei es in der Entwicklungszusammenarbeit in Bolivien, sei es in der Stadt­entwicklung in der Schweiz – kann im Licht des «guten Lebens» betrachtet werden. Cergio Prudencio stellte zwei unterschiedliche Entwicklungsbegriffe gegenüber: Der eine umfasse nur die wirtschaftliche Entwicklung und führe aufgrund des Zwangs zum grenzenlosen Wachstum dazu, dass nicht erneuerbare Energien erschöpft und die Umwelt zerstört würden. Der andere beruhe auf dem Wohlergehen der Menschen und des Lebensraums.

Mit Blick auf die beiden anderen Podiumsgäste meinte Cergio Prudencio: «Die Aufgabe von uns Politikern und Künstlern ist es, Platz für diese Utopien zu entwickeln.»

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