Ein Universum der Gefühlsebenen
Kunsthalle Palazzo Sechs sinnliche Charaktere bevölkern die Ausstellung von Livia Rita
Livia Rita ist Sängerin, Performance- und bildende Künstlerin. Zentrum ihres Schaffens ist ein Haus in den Bündner Alpen, das nur über eine Wanderung erreichbar ist und das internationale Künstler/-innen-Kollektiv «Avantgardeners» beherbergt. Ihre Werke brechen Grenzen auf: zwischen künstlerischen Genres, zwischen Natur und Mensch, zwischen Geschlechtern, zwischen Mythologie und modernen Subkulturen. Organisch fliessen Materialien wie Silikon und Blütenblätter ineinander, vermischen sich tierische Attribute wie Hörner mit menschlichen Kleidungsstücken. Ihre «Art Fashion» hängt nicht nur an Ausstellungswänden, sondern wird von ihr und anderen Künstler/-innen bei Performances und Konzerten getragen.
In der Kunsthalle Palazzo in Liestal können die Besucher/-innen in die kreative Welt von Livia Rita eintauchen. Das subjektive Abenteuer beginnt mit einem Set von sechs Karten, die Fantasy-Spielkarten nachempfunden sind. Die sechs Charaktere oder «Creatures» besitzen individuelle Eigenschaften und ihnen ist je eine Superpower zugeordnet, ein Zauberspruch, ein Ritual und eine Bewegungsform. In den sechs Räumen der Kunsthalle besetzen sie ihre eigenen Orte, sozusagen ihre ökologischen Nischen, in denen sie sich breit machen und ihre «Vibes» ausstrahlen.
Und dies auf eine multi-sensorische Weise: Jede «Creature» hat einen Duft – von der Decke hängende Sprühflakons warten darauf, von den Besucher/-innen betätigt zu werden – ihr eigenes «Elixier» (Sirup aus natürlichen Zutaten), ihre akustische Ambiance (Soundcollagen, Gesang, Geräusche) und eine bestimmte Haptik (verkrustete Erde, weiches Latex, glattes Metall, die kühle Feuchtigkeit aus der Nebelmaschine).
Die sechs Charaktere könnten aber auch dieselbe Person sein, beziehungsweise unterschiedliche Gefühlsebenen ihrer Schöpferin, Livia Rita. Sie impersonifiziert die «Creatures» auf den Karten und ist überall in der Kunsthalle durch ihre Stimme präsent.
Eat My Anger
Der Charakter «Nemesis Lacerta» ist eine Fee mit Dornen, rachsüchtig und emotional wie die griechische Göttin Nemesis, gleichzeitig hat sie etwas Eidechsenhaftes («Lacerta» ist ein biologischer Gattungsname). Ihre Zone trägt den Titel «Eat My Anger» (Friss meinen Zorn) und sie manifestiert sich in gelb-braunen Latex-Tüchern, klauenartigen Ausstülpungen und einem aggressiven Geruch. «Eat My Anger» ist auch der Titel der gesamten Ausstellung in der Kunsthalle Palazzo, nimmt aber dort keinen privilegierten Platz ein. Fliessend geht diese Zone über in den Bereich «Dream Soft» (Träumweich), in dem Rosa- und Lila-Töne vorherrschen, ein blumig-süsser Duft und eine wohlige, romantische Stimmung. Der Charakter heisst jetzt «Embrioni-kin», eine flirtende, errötende Gestalt, die sich wie ein fadenförmiger Pilz mit allen Wesen verbindet und verstrickt. Ihre Superpower ist, dass sie «die lüsternen Töne aus dem Bauch der Welt» hören kann. Zu «Dream Soft» gehören auch Kleidungsstücke, darunter auch ein Flügelpaar, und ein Video, das kürzlich bei einem Musikauftritt in der Zentralwäscherei in Zürich gefilmt wurde, bei dem 20 Performerinnen die «Art Fashion» von Livia Rita zum Leben erwecken.
Die auffälligste Skulptur ist ein grünes Naturwesen mit einer Haut aus echtem Moos: ein Walderlebnis in Grüntönen und Tannenduft in einer Ecke des grossen Ausstellungsraumes. «Acaulis Glitch», wie dieser Charakter heisst, ist eine Waldnymphe – wieder ein Mythologiebezug – und lädt dazu ein, rituell zu einem Teil der Natur zu werden. Auf dem Weg zum Ausgang treffen die Besucher/-innen auf weitere Bereiche mit ihren jeweiligen Gefühlsnuancen: «Our Hell», «Dangerous Thoughts» und «Icicle».
Rituelle Prozession am 21. Juni
Obwohl sich die Ausstellung täglich auf eigene Faust erkunden lässt, wird sie erst durch Performance vollständig. An die Vernissage kam Livia Rita mit vier Performerinnen und an der Finissage am 29. Juni wird sie erneut durch ihr Palazzo-Universum wandeln.
Am 21. Juni wird auch der öffentliche Raum einbezogen, wenn die Avantgardeners und das Kollektiv Gang of Witches eine rituelle «Creature Procession» vom «Soft Space» an der Clarastrasse in Basel bis zum Liestaler Palazzo durchführen.
Infos: www.palazzo.ch/kunsthalle